Sie wohnten nebenan – vor 70 Jahren

von Helga Fremerey

Zehn junge Katholiken aus den katholischen Gemeinden Oberursels hatten sich unter einem reichhaltigen Projektangebot zur Vorbereitung auf ihre Firmung am 09.11. das Thema „Sie wohnten nebenan – ein Denkmal wird lebendig“ ausgewählt, um sich mit den Ereignissen in der Zeit des Nationalsozialismus hier am Ort zu befassen.

Die Firmlinge trafen sich am Marktplatz mit Angelika Rieber (Foto: Helga Fremerey)

Angelika Rieber startet den Rundgang am Oberurseler Marktplatz (Foto: Juliane Nikolai)

Die Firmlinge wurden am letzten Septemberwochenende 2008 unter sachkundiger Leitung der Historikerin Angelika Rieber, Autorin des Buches „Wir bleiben hier – Lebenswege Oberurseler Familien jüdischer Herkunft“, zu den Häusern früherer jüdischer Nachbarn geführt. Die Jugendlichen zeigten sich hoch motiviert, möglichst viel über das, was sie bisher eher abstrakt im Geschichtsunterricht gehört hatten, nun in Verbindung mit anschaulicher Schilderung „vor Ort“ zu erfahren und nachzuspüren, wie es für die Betroffenen damals war. Das Geschehen, das sie hier in ihrer kleinen Stadt nicht vermutet hätten, bekam eine Qualität, die sie tief berührte.

Sie wurden zu vielen spontanen und wohlüberlegten Fragen angeregt und waren bereit, sich mit einzelnen Schicksalen genauer zu befassen. „Bemerkenswert finde ich, dass es so viele betroffene Familien gab, an Orten, an denen wir täglich in Oberursel vorbeilaufen, ohne zu wissen, welchen Hintergrund alles hat.“ ( L.) „Wie sehr diese Schicksale, die einem die Grausamkeit der NS-Zeit erst richtig deutlich machen, bereits in Vergessenheit geraten sind! Was kann ich tun, damit das nicht weiter geschieht?“ fragte sich N. und gab wie C. am zweiten Projektnachmittag schon eine von vielen möglichen Antworten: „ Ich habe gestern Abend noch lange mit meinen Eltern darüber gesprochen!“ „ Ich werde meinen Klassenkameraden berichten, was ich in diesem Projekt erfahren habe“ (L.) „Wir werden bald im Unterricht über diese Zeit sprechen“, meinte Y. und fühlt sich nun besser vorbereitet dafür. Zwei Gruppen bereiten Beiträge für einen Gottesdienst sowie ein großes Bild- und Textplakat für ihre Gemeinden und Schulen vor.

Helga Fremerey beantwortete Fragen der Jugendlichen am Standort des entstehenden Opferdenkmals hinter der Hospitalkirche.  (Foto: Angelika Rieber)

Juliane Nikolai und Helga Fremerey (v.r.n.l.) beantworten Fragen der Jugendlichen am Standort des entstehenden Opferdenkmals hinter der Hospitalkirche. (Foto: Angelika Rieber)

Juliane Nikolai erklärte den nur um wenige Jahre Jüngeren ihren Entwurf des Mahnmals für die Oberurseler Opfer, das nach einer Auswahl durch eine Jury Stück für Stück im Hof hinter der Hospitalkirche durch die Bildhauerin Christine Jasmin Niederndorfer entsteht . Es konnte schon zu einem Viertel durch Privatspenden, Preisgelder und Erlöse von Benefizveranstaltungen der Arbeitsgemeinschaft „Nie wieder 1933″ und anderer Organisationen dieser Stadt verwirklicht werden. „Ich finde es bemerkenswert, dass es Menschen gibt, die sich so gegen das Vergessen einsetzen.“ (N.) und „dass es ein Denkmal für die ermordeten Juden aus Oberursel geben wird“ (C.)

Ein wichtiges Ziel des Projekts war und ist, die Teilnehmer besser für die Begegnung mit Vorurteilen bei Jugendlichen im oder aus dem Ausland zu rüsten, kundig und selbstbewusster damit umzugehen, denn „es irritiert mich, dass meiner Generation immer noch vorgeworfen wird, für die Judenverfolgung mit verantwortlich zu sein“ (T.)

So nehmen die Firmlinge das Versöhnungsangebot des Felix Weil an.

Seine Vorfahren hatten über 150 Jahre (6 Generationen!) in Oberursel gelebt. Felix kam mit einem Kindertransport im Alter von 13 Jahren von Frankfurt aus nach England in der Hoffnung, seine Familie später wieder zu sehen. Er gelangte in die USA und wurde 1946 achtzehnjährig als Soldat der US-Armee nach Frankfurt (!) geschickt, wo er vom traurigen Schicksal seiner Familie erfuhr.

Felix Weil: „Ich will alles tun, um die Jugend aufzuklären und ihr helfen zu verstehen, dass der Holocaust nicht einfach eine Seite im Geschichtsbuch ist.“ Und: „Unsere einzige Hoffnung ist die Jugend. Wir müssen alle zusammenarbeiten, alle Nationen, alle Religionen.“

( aus A. Rieber, s.o., Seite 69)

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