Bewegende Feier zur Einweihung der letzten Figur

Die Trommelgruppe unter der Leitung von Mechthild Herr und Baye Cheikh Matala Mbaye besteht aus rund 20 Bewohnern des Alfred-Delp-Hauses und des zugehörigen Betreuten Wohnens. Sie umrahmten mit ihren Stücken die Feier.

Die Trommelgruppe unter der Leitung von Mechthild Herr und Baye Cheikh Matala Mbaye besteht aus rund 20 Bewohnern des Alfred-Delp-Hauses und des zugehörigen Betreuten Wohnens. Sie umrahmten mit ihren Stücken die Feier.

Am Vormittag des 1. Juli war es so weit. Die letzte Figur wurde angeliefert und unter der fachlichen Leitung von Christine Jasmin Niederndorfer wurde die genaue Platzierung und Ausrichtung der Figur vorgenommen. Schon zu diesem Ereignis waren einige Freunde des Denkmals und interessierte Pressevertreter auf den kleinen Platz hinter dem Hospital gekommen.

Die Einweihungsfeier für die letzte Figur begann dann am späten Nachmittag direkt am Denkmal. Die Trommlergruppe des Alfred-Delp-Hauses eröffnete die Feier. Dies war insofern sehr passend, als die gesamte Veranstaltung den Fokus auf das Thema der Euthanasiemorde gelegt hatte, wie die Vorsitzende der Initiative, Annette Andernacht, in ihrer kurzen Begrüßung ausführte. Nach einer kurzen Ansprache des Ersten Stadtrates Christof Fink und einem weiteren Beitrag der Trommlergruppe ging es zur Fortsetzung der Veranstaltung in den Rathaussaal.

Der zentrale Vortrag von Andi Andernacht stellte die Euthanasiemorde in den historischen Kontext und zeigte den Weg von der rassistischen Vererbungslehre über die Gesetze zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ bis zum tausendfachen Mord. Besonders ergreifend für die Zuhörer war die Darstellung des Schicksals einer Oberurselerin.

Es war eine große Ehre für alle Teilnehmer, dass Trude Simonsohn, eine der wenigen noch Überlebenden des Holocaust, die Gelegenheit wahrnahm, sich persönlich für ihre Einladung zu dieser Feier zu bedanken und ein paar aufmunternde Worte an die Versammelten zu richten.

Ein Grußwort des Bürgermeisters Hans-Georg Brum und eine kurze Vorstellung des in diesem Herbst erscheinenden Gedenkbuches über die Oberurseler Opfer des Nationalsozialismus durch Angelika Rieber rundeten die Veranstaltung ab. Musikalisch umrahmt wurde die Feier im Rathaussaal durch den jungen Pianisten Laurids Green.

Redebeitrag von Andi Andernacht im Wortlaut

Liebe Freunde und Förderer des Denkmals,

In „Mein Kampf“ hat Hitler nicht nur seine Rassenlehre mit ihren Unterteilungen in Herrenrassen und Untermenschen, mit seinem rassischen Antisemitismus dargelegt. Zugleich hat er ausgeführt, dass die arische Rasse sich nur behaupten könne, wenn sie sich aller Menschen mit geschädigtem Erbgut entledige.

Die Euthanasiemorde waren Teil einer stufenweisen Verwirklichung dieses Kernziels der nationalsozialistischen Ideologie. Jede „Beeinträchtigung des deutschen Volkskörpers“ sollte durch die gesetzlich geregelte „Verhinderung“ der Fortpflanzung von Menschen mit einer echten oder angeblichen Erbkrankheit sowie von sozial und rassisch unerwünschten Menschen verhindert werden.

Sofort nach der Machtübernahme gingen die Nationalsozialisten ans Werk: Auf Basis ihrer rassistischen Vererbungstheorie erließen die Nazis bereits im Juli 1933 Gesetze zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Taube, Blinde, geistig Behinderte durften fortan keine Kinder mehr zeugen. Um dies zu erzwingen, griff man zum Instrument der Zwangssterilisation. Über 400.000 Menschen wurden Opfer dieser Maßnahmen, allein 6.000 verstarben aufgrund des Eingriffs.

Zugleich setzte eine aggressive Propaganda ein, die die Belastung des „Volkskörpers“ durch die unnützen Esser zum Thema machte. Verächtlich sprach man von „Ballastexistenzen“ oder auch von „defekten Menschen“. Nach der Ideologie der Nazis lag die Ursache für diese Defekte immer in den Erbanlagen der betroffenen Person. Konsequenterweise legte ein Gesetz von 1934 nunmehr fest, dass alle Kriegsveteranen aus dem 1. Weltkrieg mit seelischen Störungen nicht mehr als Invaliden gelten können.

Systematisch wurden ab 1933 die Pflegesätze der Heil- und Pflegeanstalten heruntergesetzt und so die Lebensumstände der Bewohner deutlich verschlechtert.

Mit dem Beginn des  Krieges schritt das Regime dann zum industriell betriebenen Massenmord,  gesteuert von der Berliner Zentrale in der Tiergartenstraße4. Daher der Name „Aktion T4“.  Im Oktober 1939 ging ein Runderlass an alle Heil-und Pflegeanstalten, dass Meldebögen für alle Heiminsassen auszufüllen seien. Auf Basis dieser Bögen wurden dann Listen mit den Namen der zur Ermordung ausgesuchten Menschen erstellt, die an die einzelnen Einrichtungen gingen. Die zur Vernichtung ausgesuchten Heiminsassen wurden dann zunächst umquartiert in Zwischenstationen und von dort wurden sie dann abgeholt und in die Tötungsanstalten verbracht.

Die in der Aktion T4 für unsere Region zuständige Tötungsanstalt befand sich in Hadamar bei Limburg. Diese Einrichtung wurde speziell für die Aktion T4 geschaffen. Zu diesem Zweck wurden Büro-, Schlaf- und Gesellschaftsräume für das neue Personal hergerichtet, die Gaskammer und das angeschlossene Krematorium mit zwei Öfen gebaut. Die Anstalt nahm ihren Betrieb 1941 auf und hat dann in nur acht Monaten den Mord an über 10.000 Menschen bewerkstelligt. Zur Verschleierung der Mordaktion wurde der Transport  nach Hadamar über Zwischenstationen durchgeführt, aus denen die Menschen nach wenigen Tagen dann zur Ermordung gebracht wurden. In unserer Gegend waren Zwischenstationen unter anderem die Anstalten in Weilmünster, in Idstein und auf dem Eichberg. In Hadamar selbst wurde ein besonderes Standesamt eingerichtet, dessen Aufgabe es war,  Todesmitteilungen für die  Angehörigen zu verfassen. Auf diesen Totenscheinen war alles gefälscht: Nicht nur die Todesursache, sondern auch Ort und Datum des Todes und die Namen der unterzeichnenden Ärzte.

Im September 1941 wurde die Aktion T4 offiziell beendet, zu groß war wohl der Druck vor allem aus kirchlichen Kreisen gegen diesen organisierten Massenmord geworden. Bekannt ist in diesem Zusammenhang die Predigt des Münsteraner Bischoffs Graf von Galen.

Das Ende der Aktion T4 bedeutete aber nicht die Beendigung der Euthanasiemorde. Nun begann die Zeit der sogenannten „wilden Euthanasie“, die in den einzelnen Anstalten stattfand. Da dies durchaus planmäßig geschah, sprechen die Opferorganisationen heute lieber von der „dezentralen Euthanasie“.  Die Opfer wurden nun nicht mehr vergast, sondern durch Verabreichung tödlicher Medikamentencocktails oder systematisches Verhungernlassen ermordet.

Die Organisation und die Durchführung erfüllten die Erwartungen ihrer Initiatoren. So berichtete zum Beispiel der Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Waldheim in einem Schreiben vom 4. November 1943:

„Ich […] habe reichlich zu tun, da fast alle Neuaufnahmen aus der Gegend … zu mir kommen. Ich könnte diese Aufnahmen natürlich niemals unterbringen, wenn ich nicht entsprechende Maßnahmen zum Freimachen von Plätzen durchführen würde, was ganz reibungslos geht. Es fehlt mir allerdings sehr an den erforderlichen Medikamenten.“

Der Kreis der Betroffenen wurde immer größer. Getötet wurden psychisch Kranke, geistig und körperlich Behinderte, Taubstumme, Blinde, Tuberkulöse, Fürsorgezöglinge, Arbeitsinvalide, Zwangsverschleppte Ostarbeiter, Flüchtlinge, durch Bombenangriffe verwirrte Zivilisten, offenkundig auch schwerverwundete Soldaten.

Mindestens 14 Oberurseler Frauen und Männer wurden in Hadamar umgebracht. Wenn wir sie heute auf unserem Denkmal in Oberursel namentlich aufführen, holen wir auch sie zurück in unsere Mitte, setzen so ein Zeichen gegen ihre Ausgrenzung und Vernichtung.

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